Sterben

Filmkunst 66, Berlin 07.07.24

Hochkant im Handyvideo-Stil ein Kleinkind, „Man muss immer auf sein Herz hören“, und so, klingt lieb, aber auch ein bisschen sehr nach Lebenscoach. Die Credits sehr kurz gefasst als Signaturen auf einem Gemälde: Achtung Kunstwerk. Obwohl, es sind Fingerfarben. Im gleichen Stil dann auch Kapitelüberschriften. Das war es dann aber erst mal mit fröhlich und distanziert.

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Erstes Kapitel, „Lissy Lunies“. Corinna Harfouch sitzt am Boden, eingeschissen. Die Nachbarin ruft rein, so gehe das ja nicht weiter, ihr Mann sei schon wieder zu ihr hochgekommen. Der (Gerd, Hans-Uwe Bauer) schlurft zurück, fast nackt. So kann das nicht weitergehen, nein. Das wird ein Martyrium. Völlig ungebremst ist man mitten drin. Jeder in dem großartigen Ensemble spielt mit schmerzhafter Intensität, aber wie Harfouch die kämpferisch Leidende in aller Ambivalenz der Figur auslotet, ist bald zu wahr, um es auszuhalten. Sie versucht ihren Sohn anzurufen, als der endlich zurückruft, kippt das Gespräch, weil die Maßstäbe nicht stimmen. Die Befangenheiten der bürgerlichen Lebensoberflächen, und darunter klafft Leere. Dabei bemühen sie sich sogar, wir sehen überwiegend Menschen prinzipiell guten Willens. Aber es geht einfach nicht. Schon gar nicht miteinander. Matthias Glasner gilt und ist seit je ein mutiger Regisseur. So viel Ambiguitätstoleranz trauen sich wenige. Es geht zwar auch ums Sterben, aber vor allem handelt „Sterben“ davon, wie Leben nicht gelingt. Mit großer Wahrhaftigkeit trifft der Film dahin, wo es weh tut.

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Es gibt ein Stück im Stück. Tom (Lars Eidinger), der schwer erreichbare Dirigentensohn des Paares, will „Sterben“ aufführen, das magnum opus seines schwermütigen Komponistenfreundes Bernard (Robert Gwisdek). Der erklärt dem am Werk verweifelnden Jugendorchester, natürlich sei da keine Hoffnung in dem Stück. Die Hoffnung liege darin, dass sich Menschen damit reflektierend beschäftigen und etwas daraus mache, das andere Menschen anspreche und reflektieren lasse.

So also will der Film sich verstehen. Passt schon.

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Das Sterben von Gerd zeigt der Film dann direkt. Recht bald schon, und als einzigen der Todesfälle, die sich noch ereignen werden. Pflegeheimerbärmlichkeit, aber keine Karikatur. Es sind keine bösen Menschen. Aber was für ein Bild von technizierter Vereinsamung. Pflegerin und Pfleger sind für die Nacht aus dem Raum, starre Kamera auf das erkennbar vielfach zurichtbare Bett, ein unmenschlich wirkendes gelbes Licht, das sogar freundlicher wird, als es zur Nachtbeleuchtung erfahlt. Die Kamera fährt langsam zurück: hier ist jemand so allein, wie er nur sein kann. Buchstäblich noch ein Schritt, und er wird tot sein.

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„Ab hier ist es dann Splatter.“ Tom der Dirigent zum Orchester über „Sterben“, die Komposition. (Bernard dem Komponisten gefällt das nicht.) Ab hier dann Splatter, auch das ist der Film. Ellen Lunies, die verlorene Tochter (Lilith Stangenberg, auch eine, der das Etikett „Mut“ mit Grund anheftet), stürzt sich in eine Amour fou mit dem Zahnarzt Sebastian (Ronald Zehrfeld – und was für eine irre Besetzung ist das bitte überhaupt). Höchste Ekstase unter Wolken von Alkohol. Inclusive Zahnziehen mit Messer und Zange im Nebenraum einer Bar. Mag nacherzählt grotesk klingen, aber das Film knallt da schon richtig. Furchtlos auf die Spitze. Und dann wieder Absturz.

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Irgendwie muss das alles zusammenkommen, und da zeigt sich, dass es viel und Disparates ist. Dass es die kaputte Ellen ist, die die Uraufführung der musikalischen Komposition zum Fiasko werden lässt, ist rumpelig und in seiner Fast-Gaghaftigkeit für einmal die Fallhöhe banalisierend. Und doch verbindet gerade mit ihr der Film das zarte Pflänzchen Hoffnung, das er der Prämisse zuwider übrig lässt: Unkraut vergeht nicht. Am schlimmsten Tief über den Haufen gefahren, steht sie nicht nur wieder auf, sondern ist am Ende die, die am entschlossensten weiter vorangeht durch dieses allen nie so recht gelingende Leben vor dem Sterben.

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